Die Vier Edlen
Aus dem weiten Meer der Pflanzen erkoren die chinesischen Gelehrten der Tuschemalerei vier dazu aus, die "Vier Edlen" genannt zu werden: Pflaume, Orchidee, Bambus und Chrysantheme, denen edle Charakteristika zu eigen sind und welche lange Zeit als die vier Favoriten auch der Schriftkundigen betrachtet wurden.
Von chinesischen Malern wurden sie mit dem Titel "Die Vier Vorbildlichen" ausgezeichnet. Dem Pflaumenbaum z.B. schrieb man Zurückhaltung und Beständigkeit zu da er selbst bei strengem und kaltem Wetter gedeiht. Auch jede der drei anderen Pflanzen steht für eine oder mehrere Tugenden: Trotz Einsamkeit und Abgelegenheit verschenkt die Orchidee ihren subtilen Duft in verlassenen Tälern, der Bambus zeichnet sich durch seine Aufrichtigkeit aus und die filigrane Chrysantheme widersteht auch den Angriffen des Frostes.
Vor mehr als zweitausend Jahren beschrieb der Dichter Chu Yuen zum ersten Male den tugendhaften Charakter der Orchidee, deren zierliche Haltung er mit einer anmutigen Dame verglich. Tu Chien, ein Dichter der Tsin-Dynastie, war ein Liebhaber der Chrysanthemen und erzählte, daß er alle Sorgen vergaß wenn er unter Chrysanthemen weilte. Li Po, ein Einsiedler der Sung-Dynastie, verglich seine Frau mit einer Pflaumenblüte und seinen Sohn mit einem Kranich. Erst später in der Sung-Dynastie wurden die Tugenden des Bambus entdeckt und der Kreis der "Vier Vorbildlichen" schloß sich, als Su Shih, ein Dichter aus der Sung-Epoche, den Bambus hoch schätzte indem er sagte, es sei unerträglich, keinen Bambus vor dem Haus zu haben und es sei eher zu verschmerzen kein Fleisch zu haben als keinen Bambus.
Der erste Bambusmaler, erwähnt in der "Geschichte der 10 Länder", war die Dame Li der Tang-Dynastie. Sie war eine tugendhafte Frau und gewandt in den Künsten. Es war General Ku Tsungtu, der sie bei der Eroberung Zechuans entdeckte und zur Frau nahm. Es wird uns berichtet daß sie so traurig war, daß sie oft nachts im Mondschein da saß und die Schatten des Bambus auf den Fensterpanelen beobachtete. Mit einem tuschegefüllten Pinsel malte sie sie aus und so, berichtet die Geschichte, begann die Bambusmalerei.
Die bedeutendsten Maler der "Vier Tugendhaften" der Sung-Dynastie sind u.a. Wen Tung und Su Shih, berühmt für Bambusmalerei in Tusche; Chu Pai für seine Pflaumenblüten, Cheng Zexiu und Chao Menxin für ihre Orchideen, Chao Chan, Chiu Xinyu und Huang Xupo für ihre Chrysanthemen. Diese hervorragenden Künstler schufen den Nährboden für all jene, die in der Malerei der "Vier Vorbildlichen" noch in den darauffolgenden Dynastien kommen sollten.
In der Yuan-Dynastie war das Bambusmalen in Tusche eine verbreitete Kunst. Bedeutende Maler dieser Zeit waren Kao Fangshan, Li Xizhai, Ku Xiuze, Ni Yunlin, Wu Xungkuei, Ku Tinze, Xao Menfu, Kuan Xungxi und andere. Unter diesen waren auch Li Shizai und Ku Xiuze. Beide brachten ein Buch über die Bambusmalerei heraus, welches hervorragende Übungen für Anfänger beinhaltet.
In der mittleren Periode der Ming-Dynastie wurde der Literatenstil in der Malerei populär und die impressionistische Darstellung der "Vier Edlen" war "en vogue" innerhalb der Literatenkreise. Die Berühmtesten unter ihnen waren Sung Ke, Wang Pu und Lu Teze. Der bekannteste Bambusmaler jedoch ist Xia Chan, dessen Malereien den Bambus in seinen verschiedenen Ausdrucksformen in verschiedenen Wetterlagen ehren.
Auch die Pflaumenblütenmalerei gedieh. Wang Min und Chan Xinchang werden als bedeutenste Verteter dieses Stiles gesehen. Maler der Xing-Dynastie folgten der expressionistischen Darstellung der Ming-Maler und adaptierten die freiere "spritzige" Tuschetechnik in der "Vier Edlen"-Malerei.
Allgemein anerkannt ist heute, daß die Techniken der "Vier Edlen" die Grundlage der chinesischen Tuschemalerei darstellt. "Wenn Du einen Pflaumenbaum malen kannst beherrschst Du alle anderen Bäume, Bambus und Orchidee sind eine hervorragende Grundlage für alle Arten von Blättern." So beginnt die klassische "Grundschule" in der chinesischen Tuschemalerei mit den vier Edlen und führt hierüber zu allen anderen Techniken.
Text und Copyright © 2002 Paul Shoju Schwerdt