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Der Weg von Pinsel und Tusche

Anläßlich einer Ausstellungseröffnung meiner Tuschemalereien gab ich vor drei Jahren eine Gongperformance, zusammen mit einem ehemaligen Musikerkollegen und Schlagzeuger.
Im Anschluß fragte mich ein interessierter Besucher, was denn nun das Schlagen eines Gongs mit Tuschemalerei gemein habe. Meine spontane Antwort war: "Gongspielen und Tuschemalerei - beides ist wie einen Drachen reiten!"

Kaum mag sich der Leser vielleicht vorstellen, wie die Handhabung eines Pinsels zu einem abenteuerlichen Wolkenritt werden könnte. Es sei denn, er hat sich einmal jenes feine hauchdünne Papier angeschaut, auf dem gemalt wird und dann vielleicht einen chinesischen Pinsel, gesättigt mit schwarzer Tusche, in der entsprechenden Haltung in die Hand genommen und sich vorgestellt, was bei der ersten zarten Berührung Pinsel/Papier alles geschehen könnte....

TuschemalereiDie fernöstliche Tuschemalerei ist ein Weg zur Stille, zum Selbst.
"Wenn man den Pinsel in die Hand nimmt, dann muß man sein Sehen zurücknehmen, das Hören umkehren, alle Gedanken abtun und sich auf die spirituelle Wirklichkeit konzentrieren. Wenn der Geist still und der Atem harmonisch ist, dann wird das Werk ins Allerfeinste eindringen."
So Yu Shih-nan, ein taoistischer Kalligraph und Maler aus dem 7. Jahrhundert n. Chr..

Schon die Vorbereitungen zum Malen sind erste Schritte zur Stille: das Vorbereiten des Arbeits-platzes, das Bereitlegen des Papiers und nicht zuletzt auch das Anreiben der Tusche.

Professor Kong, ein tatsächlicher Nachfahre von Konfuzius in der xten Generation, erklärte mir seinerzeit an der Akademie der Schönen Künste in Hangzhou einen weiteren Unterschied zwischen chinesischer und westlicher Malerei: "Der westliche Maler nimmt Staffelei oder Skizzenblock mit, posiert sich damit innerhalb einer Landschaft und versucht das, was sein Auge wahrnimmt, auf Papier oder Leinwand festzuhalten. Wenn ich durch die Landschaft ziehe, singe ich ein Liedchen, rieche, spüre, schmecke ich alles, nehme es in mich auf. Am späten Abend dann greife ich zu Papier und Pinsel und lasse mein Herz erzählen."

Ähnlich formuliert dies auch Ni Tsan, einer der berühmtesten Maler der Vergangenheit in China:

"I-Chung ( der Name eines Freundes) liebt meine Bambusbilder. Ich male Bambus, um meine innere Stille freizusetzen. Was kümmert mich Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit, dicht wachsende oder vereinzelte Blätter, gekrümmte oder gerade Äste? Nachdem ich solange gearbeitet habe, werden die Leute ihn vielleicht sogar für Hanf oder Schilfrohr halten. Warum sollte ich sie überzeugen, daß es Bambus ist?"

Chinesische Malerei ist denn auch mehr als Malerei allein. Sie läßt sich durchaus auch als eine Qiong-Form verstehen. Das Qi, die Lebensenergie, hat wesentliche Bedeutung in der chinesischen Malerei. Ein Kenner entdeckt sofort, ob ein Strich mit Qi oder ohne geführt wird, wo der Qi-Fluß eines anderen Striches laienhaft abbricht. Die Geschichte erzählt, daß der Pinselstrich eines alten Meisters so voller Qi war, daß die Tusche durch Papier und Unterlage tief in das Holz des Tisches eindrang, auf dem der Meister gemalt hatte.

Auch die Haltung während des Malens und Schreibens entspricht den Regeln des Taijiquan wie auch denen des Zazen (Zen-Meditation).

Umso verständlicher ist es, daß viele chinesische Maler und Kalligraphen gleichzeitig auch versiert in den Künsten des Taiji und Qigong sind und umgekehrt zahlreiche Meister des Taiji hervorragend mit Pinsel und Tusche umzugehen verstehen. Auch Japans wohl berühmtester Samurai Miamoto Musashi war ein exzellenter Tuschemaler.

Die chinesische Tuschemalerei ist also mehr als nur bildhafte Darstellung. Sie kann praktiziert und erfahren werden als Weg der Selbst- und Seinskultivation, weshalb man durchaus vom Dao (Weg) des Pinsels sprechen kann.

 

Text und Copyright © 2002 Paul Shoju Schwerdt