Chinesische Kalligraphie
Spricht man von chinesischer Tuschekunst, so werden meist verschiedene Begriffe erwähnt: Da ist die Malerei, die Kalligraphie, die mit ihr verbundene Poesie etc.. Tatsächlich sind diese Künste alle miteinander verwoben. Ein gutes "vollkommenes" Tuschebild beinhaltet immer vier Kunstformen: 1. die Malerei, d.h. die bildliche Darstellung, 2. die Poesie, denn man fügt jedem Bild auch einen oder mehrere Verse hinzu, 3. die Kalligraphie, die Niederschrift der Verse in kunstvoller Weise und 4. die Stempelkunst, welche wiederum einen Mikrokosmos der genannten Künste darstellt.
Im Folgenden aber geht es um die chinesische Kalligraphie, die Darstellung chinesischer Schriftzeichen mit Pinsel und Tusche.
Chinesische Schriftzeichen und die chinesische Schrift
Mancher Betrachter wird sich schon gewundert haben, daß all diese Schriftzeichen so verschieden aussehen und oft kommt einem all das einfach "chinesisch" vor. Diese Schrift ist in ihrem Ursprung eine Bilderschrift, d.h. Ideogramme, welche immer wieder abstrahiert wurden und sich zur heutigen Schrift entwickelten. Doch die Bezeichnung "heutige Schrift" mag den Leser verwirren: Selbst die heute verwandten Schriftformen sind bis auf einige Abkürzungen rund 2000 Jahre alt, was u.a. für einen Chinesen bedeutet überlieferte Texte, die hunderte oder tausend Jahre alt sind, dennoch lesen zu können. Eine enorme Resource also, wenn es um Erhalt von Wissen, Traditionen und Wesen einer Kultur geht. Versuchen Sie als Europäer einmal einen Brief, der gerade mal 60 Jahre alt ist, zu entziffern, geschweige den Texte, die mehrere hundert Jahre alt sind!
Faszinierend und zugleich schwierig an der chinesischen Schrift ist die Tatsache, daß sie eine Symbolschrift ist, d.h. wenn Sie auf chinesisch "Baum" schreiben, malen Sie einen stilisierten Baum. Liest man ein chinesisches Gedicht, so "atmet" man zugleich die Atmosphäre mit den Bildern ein. Das ist das Faszinierende. Das Schwierige ist, wenn Sie diese Schrift lernen wollen. Selbst wenn wir eine westliche fremde Sprache nicht gelernt haben, so können wir dennoch die Buchstaben LESEN und das Wort schlecht aber recht aussprechen. Da wir es im Chinesischen mit Bildern zu tun haben gibt es in diesem Sinne kein Lesen: Entweder Sie kennen das Bild und seinen Namen oder Sie kennen es nicht. Ein chinesisches Lexikon z.B. hat denn auch keine alphabetische Reihenfolge, sondern beginnt mit der Zahl der Striche, aus denen ein Zeichen zusammengesetzt ist. Doch bedeutet dies nicht unbedingt, daß man chinesisch lernen muß um sich mit der chinesischen Kalligraphie zu beschäftigen.
Die Stile
Die Kalligraphie kennt verschiedene Stile. Im Westen finden wir z.B. die Unziale, die Gotiische, die Frakturschrift etc.. Ähnliches finden wir auch in China. Die älteste ist die Knochenschrift oder Orakelschrift (jia gu wen), welche bis auf 2000 v. Chr. zurückdatiert wird. Man fand einst Panzer von Schildkröten und Knochenreste, auf denen diese Schrift eingraviert war. Vermutlich versuchten Schamanen seinerzeit aus den Verläufen und Sprüngen auf Schildkrötenpanzern und Knochen die Zukunft vorherzusagen und zeichneten Symbole nach. Deshalb wir sie auch Orakelschrift genannt. Hieraus entwickelte sich die große Siegelschrift (jin wen, 770 - 221 v.Chr.), welche auf Bronzeausgrabungsstücken gefunden wurde. Hieraus wiederum entwickelte sich der erste "Stil", die Siegelschrift (zhuan shu, 221 v.Chr. - 220 n.Chr.). Sie hat noch sehr bildhaften Charakter und wird heutzutage meistens auf Siegeln verwandt, deshalb der Name Siegelschrift.
Um 25 n. Chr. wurde die Kurialschrift, die "offizielle" Schrift (li shu, 25 - 220 n. Chr.) eingeführt. Neben der offiziellen Schrift entstanden im gleichen Zeitraum aber auch Variantionen, welche bis heute blieben, die sog. "Grasschrift" (cao shu), die Regelschrift (kai shu) und die Lauf-/Schreibschrift (xing shu).
Auch wenn das Papier berühmter Kalligraphen der Vergangenheit zerfallen ist, so gibt es doch Überlieferungen ihrer Kunst, denn man meißelte ihre Schriften in Stein. Viele Textbücher zum Studium alter Schriften bestehen aus sog. Steinabreibungen, d.h. man legte ein Blatt Papier auf die Schriftplatte und bestrich es vorsichtig mit einem farbgetränkten Beutel. Die "Abreibung" gibt dann die Schrift im Negativ wieder, d.h. Schrift weiß, Hintergrund schwarz.
Beispiele:
Zhuan-Stil - von Qin Zhao
Li-Stil - von HuaShan Bei
Cao-Stil - von Dong QiChang (1555-1637)
Xing-Stil - Brief von Kaiser Song Gaozong (1107-1187) an General Yue Fei
2004 © by Paul Shoju Schwerdt